Gern sind wir der Bitte nachgekommen, für diese Festschrift ein Geleitwort zu schreiben. Ein Jubiläum ist immer Anlass für einen Blick zurück, man schaut auf viele einzelne Ereignisse in der Vereinsgeschichte und dann entdeckt man plötzlich die Linien, das Verbindende.
Im Jahre 1912 gründeten blinde Menschen die erste deutschlandweite Selbsthilfeorganisation, den Reichsdeutschen Blindenverband, heute Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband. Sie gaben damit die Antwort auf die Fremdbestimmung blinder Menschen im 19. Jahrhundert. Fünf Jahre später wurde 1917 dieser wichtige Prozess zur selbstbestimmten Interessenvertretung mit der Gründung des Schleswig-Holsteinischen Blindenvereins fortgesetzt. Blinde Menschen haben sich in einer schwierigen Zeit, in den Wirren des I. Weltkrieges, zusammengeschlossen und den Selbsthilfegedanken gelebt: gemeinsam die Behinderung bewältigen, gemeinsam gegen Barrieren kämpfen und die Situation der Betroffenen verbessern.
Der Weg zur Selbstbestimmung war sehr steinig. Politische Forderungen ließen sich nur schwer durchsetzen, weil weder blinde Menschen noch die Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts darauf vorbereitet waren.
Die Entwicklung des Vereins war von schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen begleitet. Erinnert sei an die aufeinander folgenden politischen Systeme, an zwei verheerende Kriege, an wirtschaftlichen Niedergang und Zeiten des Neuaufbaus.
Der Schleswig-Holsteinische Blindenverein ist in diesen 100 Jahren an den gesellschaftlichen Herausforderungen gewachsen. Die Selbsthilfe als lebendige Basis und Motor, das Engagement Betroffener für Betroffene blieb dabei wichtigste Ressource. So entstanden in den 50er-Jahren in einem Areal am Tremser Teich Wohnhäuser und ein Werkstattgebäude, um für blinde Menschen spezielle Wohnangebote und geschützte Arbeitsplätze zu schaffen. Mit der Erweiterung der Interessenvertretung auch für sehbehinderte Menschen und Augenpatienten bietet der Blinden- und Sehbehindertenverein Beratung und Hilfe für von Seheinschränkung betroffene Menschen in Schleswig-Holstein an. Ganz aktuell entsteht mit „Blickpunkt Auge“ ein umfassendes Angebot für Menschen mit Sehproblemen sowie deren Angehörige.
Der Blinden- und Sehbehindertenverein Schleswig-Holstein weiß, dass es nicht reicht, Solidarität nur nach innen zu leben – in gleichem Maß ist die Vernetzung nach außen gefragt. Das kam dem BSVSH ganz besonders im Jahr 2010 zugute, als nicht nur unsere Landesverbände, sondern auch viele andere Behindertenorganisationen in die Landeshauptstadt Kiel kamen und in einer machtvollen Demonstration gegen die Kürzung des Blindengeldes kämpften. Zwar konnte die Kürzung nicht verhindert werden, aber sie wurde abgemildert. Die bundesweit gelebte Solidarität hat zudem die Selbsthilfe gestärkt und der Politik Respekt abgefordert.
Wenn es um die Schnittstelle von Landes- und Bundesebene geht, möchten wir das Engagement von Heinz Jurkat hervorheben. Er war nicht nur über viele Jahre Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein, sondern engagierte sich zudem von 1982 bis 1998 im Vorstand des Bundesverbandes. Bis heute ist sein Einsatz für ein solidarisches Miteinander in der Verbandspolitik beispielhaft. Selbstbewusst kann der Blinden- und Sehbehindertenverein Schleswig-Holstein auf die Leistungen und Angebote für blinde und sehbehinderte Menschen im Land schauen. Das ist eine gute Basis, um aktuell anstehende Aufgaben auf die eigenen Kräfte vertrauend mit Zuversicht und Mut zur Veränderung zu lösen. Wir verbinden unsere Glückwünsche zum 100-jährigen Jubiläum mit dem Anspruch, dass der BSVSH auch in den kommenden Jahren im Kanon aller Landesverbände aktiv an der Umsetzung der gemeinsamen Beschlüsse mitarbeitet und damit ein verlässlicher Partner in der Selbsthilfe bleibt. Den Mitgliedern und Mitarbeitern des Blinden- und Sehbehindertenvereins Schleswig-Holstein wünschen wir für die Zukunft Mut, gute Ideen, kluges Gestalten und viel Erfolg. Der DBSV wird ihr Engagement für eine lebendige Selbsthilfe in Schleswig-Holstein nach Kräften unterstützen.